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Superintendent entsetzt über Ausmaß an sexualisierter Gewalt
29.1.2024
Von Wolfgang Teipel
KIRCHENKREIS + Die sogenannte „ForuM“-Studie zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche sorgt für Aufsehen. Dr. Christof Grote, Superintendent des Ev. Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg, ist erschüttert vom Ausmaß der Fälle, die das Forscherteam um den Hannoveraner Professor Martin Wazlawik zutage gefördert hat.
Am 26. Januar, also einen Tag nach Veröffentlichung der 871 Seiten starken Studie, bezog der Chef des Kirchenkreises zusammen mit Jutta Tripp, Präventionsbeauftragte des Kirchenkreises, Stellung zu den Ergebnissen der Untersuchung. Gleichzeitig kündigte er an, dass im März eine Sonderstudie zu den im Sommer 2020 bekannt gewordenen Übergriffen eines ehrenamtlichen Jugendgruppenleiters der Gemeinde Brügge-Lösenbach veröffentlicht werden soll. Anlass für diese Sonderuntersuchung sei die „Dimension dieses Falles“, erklärte Dr. Christof Grote. Der Beschuldigte hatte über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten sexuelle Gewalt an schutzbedürftigen Jugendlichen ausgeübt. Der mutmaßliche Täter nahm sich nach dem Bekanntwerden des Verdachts das Leben. Strafrechtlich war der Fall damit abgeschlossen. Die interne Aufarbeitung dauert an, zumal sich im Sommer 2022 eine weitere Betroffene gemeldet hatte.
„Ich bin zutiefst erschüttert, zutiefst betroffen und auch zutiefst beschämt über die vielen Fälle sexualisierter Gewalt und weiteren Missbrauchs in der evangelischen Kirche“, sagte der Superintendent am Freitag. Die Studie spricht von 2.225 betroffenen Personen in der Evangelischen Kirche von Deutschland (EKD) und 1.259 Beschuldigten. In der Ev. Kirche von Westfalen entdeckten die Forscherinnen und Forscher in den zur Verfügung gestellten Akten 251 betroffene Personen und 110 Beschuldigte sowie 18 Disziplinarverfahren. „Dabei ist allen Beteiligten klar, dass hinter diesen Zahlen eine große, kaum abzuschätzende Dunkelziffer von nicht dokumentierten oder nicht gemeldeten Fälle steht“, erklärte Dr. Christof Grote. Dass auch im Ev. Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg solche Fälle vorhanden sein könnten, könne er nicht mit Gewissheit ausschließen, betonte er auf Nachfrage. Zurzeit seien aber keine weiteren Fälle bekannt.
In der evangelischen Kirche habe ein Umdenken stattgefunden. Beim Auftauchen von Verdachtsfällen gehe es nun nicht mehr darum, die Kirche als Institution zu schützen. „Wir werden jeden Fall aus der Perspektive der Betroffenen behandeln“, versicherte der Superintendent.
Im Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg seien zahlreiche Schritte unternommen worden, die dazu beitragen sollen, „dass unsere kirchlichen Räume möglichst sichere Räume sind, in denen sich Menschen geschützt wohlfühlen können und in die Eltern ihre Kinder unbesorgt gehen lassen können“.
Aufgrund der bekannt gewordenen Fälle in Lüdenscheid und der damit verbundenen hohen Sensibilität sei das Kirchengesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt vom 1. März 2021 im Kirchenkreis sehr schnell aufgenommen worden.
Dazu zähle beispielsweise die Verpflichtung, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein erweitertes Fühlungszeugnis vorlegen müssen.
Weiter sei sexualisierte Gewalt das Hauptthema der Kreissynode im Juni 2021 gewesen. Anschließend sei ein kreiskirchliches Schutzkonzept erarbeitet worden. Es wurde im November 2023 verabschiedet und verpflichtet die Gemeinden, das Diakonische Werk und alle anderen kirchlichen Einrichtungen eigene Schutzkonzepte zu erstellen.
Die Arbeit habe aber schon am 1. Juli mit der Einstellung von Jutta Tripp als Präventionskraft und des Einsatzes zweier Multiplikatorinnen begonnen. Sie seien nach dem EKD-Konzept „hinschauen – helfen – handeln“ für die verpflichtende Schulung aller haupt-, neben- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuständig. In den Jahren 2022 und 2023 nahmen 1304 Personen an insgesamt 76 Schulungen teil. Die Personal- und Sachkosten bezifferte der Superintendent auf 140.000 Euro. Er rechnet mit ähnlichen Beträgen in diesem Jahr und in den Folgejahren. Ein Grund: In diesem Jahr werde es aufgrund der Presbyteriumswahlen zu vielen Wechseln in den Gemeinden kommen. Auch deshalb bestehe weiterer großer Schulungsbedarf.
Mit Blick auf die „ForuM“-Studie würdigte Dr. Christof Grote insbesondere die Mitarbeit von Betroffenen. Das mache die Qualität des Berichtes aus, auch wenn es Kritikpunkte – vor allem am Design - an der Untersuchung gebe.
Die "ForuM"-Studie wurde im Jahr 2020 von der EKD initiiert und finanziert. Sie sollte typisch evangelische Strukturen analysieren, die Gewalt und Machtmissbrauch begünstigen. Als Dachorganisation von 20 Landeskirchen vertritt die EKD bundesweit gut 19 Millionen Christinnen und Christen.