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Betreuungsrecht: Was sich ab 1. Januar 2023 ändert

10.1.2023

Auch im Verein für Vormundschaften und Betreuungen sieht man die Reform positiv. Der Verein ist Teil des Diakonischen Werkes im Evangelischen Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg (Grafik: EKKLP)
Auch im Verein für Vormundschaften und Betreuungen sieht man die Reform positiv. Der Verein ist Teil des Diakonischen Werkes im Evangelischen Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg (Grafik: EKKLP)

KIRCHENKREIS + Die Betreuungsrechtsreform, die am 1. Januar 2023 in Kraft tritt, soll das Vormundschafts- und Betreuungsrecht neu strukturieren. Ziel ist, die Selbstbestimmung betreuter Menschen zu stärken und die Qualität der Betreuung zu verbessern. Die Änderung betrifft nicht nur rund 50 Betreuungsvereine im Verbandsgebiet der Diakonie RWL, sondern im weiteren Sinne auch Einrichtungen der Alten- und Behindertenhilfe. Was ändert sich?

 

In Deutschland haben mehr als eine Millionen Menschen einen rechtlichen Betreuer, der sie etwa bei den Finanzen oder Anträgen unterstützt. Am 1. Januar 2023 tritt die Betreuungsrechtsreform in Kraft. Sie soll die Selbstbestimmung betreuter Menschen stärken und die Qualität der Betreuung verbessern. Im Interview berichten zwei erfahrene Betreuer, was das in der Praxis bedeuten wird. Sabine Rehbein ist Geschäftsführerin im Verein für Vormundschaften und Betreuungen im Evangelischen Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg. Gleichzeitig ist sie in der rechtlichen Betreuung aktiv. Ralph Sattler arbeitet in der Geschäftsführung des Betreuungsvereins Ludwigshafen im Diakonischen Werk Pfalz e.V.. Er macht Betreuungen, begleitet und schult ehrenamtliche Betreuer und berät zu Vorsorgevollmacht und Patientenverfügungen.

 

 

Wie stehen Sie zur Betreuungsrechtsreform?

 

Sabine Rehbein: "Im Prinzip ist das eine positive Reform, weil sie vieles klarlegt, betreute Menschen mehr in den Mittelpunkt rückt und deren Rechte stärkt."

 

Ralph Sattler: "Im Vorfeld bedeutete die Reform für uns mehr Arbeit. Wie es nach dem Start aussehen wird, wird sich zeigen. Ich glaube aber nicht, dass sich viel ändert. Das Betreuungsgesetz war schon immer gut. Wir hatten nur ein Umsetzungsproblem."

 

 

Was sind die wichtigsten Änderungen im Arbeitsalltag eines Berufsbetreuers?

 

Rehbein: "Man kann jetzt noch nicht sagen, wie es tatsächlich in der Praxis aussehen wird. Aber vieles ist rechtlich einfach besser dargelegt. Zum Beispiel bringt die Reform Klarheit, was vermögensrechtliche Dinge anbelangt. So müssen Vereinsbetreuer keine Schlussrechnungslegung mehr machen. Das bringt für sie eine enorme Entlastung. Was jetzt deutlicher in den Alltag mit einfließen wird, ist, dass der Wunsch des betreuten Menschen sehr stark in den Vordergrund gerückt wird und die vorherige Maßgabe, dass zum Wohl des Betreuten zu entscheiden ist, hinten angestellt wird. Gerade für ehrenamtliche Betreuer wird das Neuland sein. Das kann einfache Dinge betreffen, etwa, wenn der Betreute einen teureren Handyvertrag möchte oder nicht geimpft werden möchte. Da muss jetzt der Wunsch des Betreuten umgesetzt werden, sofern es keine Gefährdung für ihn darstellt."

 

Sattler: "Für einen Betreuer, der seine Aufgabe bisher ernst genommen hat, ändert sich relativ wenig. Durch das Gesetz wurde vieles aber konkreter formuliert. Die Selbstbestimmung gab es vorher auch schon, sie wird jetzt aber durch das Gesetz gestärkt. Das Gericht bekommt durch die Jahresberichte einen besseren Einblick in das, was in der Betreuung wirklich läuft. Für Betreuende, die bisher mit manchen Vorschriften eher "entspannt" umgegangen sind, wird es dadurch schwieriger. Eine persönliche Kontaktpflicht gab es beispielsweise schon vorher. Es fiel aber unter Umständen nicht auf, wenn ein Betreuer seinen Betreuten nie gesehen hat. Jetzt müssen alle Kontakte detailliert vermerkt werden. Es wird deutlich sichtbar, wenn Vorschriften nicht eingehalten werden."

 

 

Künftig soll es ein bundesweit einheitliches Zulassungsverfahren für Berufsbetreuer geben. Was bedeutet das für Ihren Berufsstand und die Betreuten?

 

Rehbein: "Das bedeutet zunächst einmal bürokratischen Aufwand. Für die Vereinsbetreuer wird sich nichts ändern, außer, dass sie registriert sind. Für freiberufliche Berufsbetreuer wird der Sachkundenachweis sicherlich von Relevanz sein. Aber natürlich kann das auch auf die Qualität der Betreuung einen Einfluss haben, was dem Wohl des Betreuten zugutekommt."

 

Sattler: "Dadurch wird es eine höhere Qualifikation bei den Betreuenden geben. Es ist schon eine langjährige Forderung von allen Verbänden, dass ein Standard hermuss. Vorher hieß es, ein Betreuer müsse nur "geeignet" sein - ohne zu formulieren, was das heißt. Das war schwierig, weil Betreuung eine verantwortungsvolle Aufgabe ist, auf die die Menschen angewiesen sind. Diese Menschen sind selten in der Lage, sich zu wehren, wenn es schlecht läuft. Rein formal geht das natürlich, aber praktisch ist es schwierig. Das Problem an der Zulassung ist, dass es jetzt schon zu wenig Menschen gibt, die als Betreuer tätig sind. Durch die Regelung ist nicht unbedingt zu erwarten, dass das besser wird, weil die Hürde deutlich höher wird. Die Menschen, die das wollen, müssen viel Zeit und auch Geld investieren."

 

 

Gibt es für ehrenamtliche Betreuer ähnliche Verfahren? Was ändert sich bei denen?

 

Rehbein: "Menschen, die eine Betreuung für einen Nicht-Familienangehörigen übernehmen, müssen sich fortbilden und sich einem Betreuungsverein anschließen, um dort fachliche Unterstützung zu bekommen. Das ist mehr Aufwand, und ich könnte mir vorstellen, dass das den ein oder anderen abschreckt. Wenn sich eine Frau zum Beispiel schon seit 50 Jahren mit dem netten älteren Nachbarn verstanden hat, und nun eine rechtliche Betreuung für ihn eingerichtet werden muss, könnte sie das aus Verbundenheit machen wollen. In einem solchen Fall könnte es durchaus abschrecken, wenn sie dafür regelmäßig Fortbildungsveranstaltungen nachweisen und Führungszeugnisse vorlegen muss. Bei der Betreuung selbst ändert sich aber für Ehrenamtliche nichts. Sie haben dieselben Rechte und Pflichten wie Berufsbetreuer.

 

Sattler: "Sie brauchen ein Führungszeugnis und einen Auszug aus dem Schuldnerverzeichnis. Eine gute Änderung ist, dass Ehrenamtliche sich an einen Betreuungsverein binden müssen. Der Vorteil ist, dass wir so als Betreuungsvereine an diese Leute rankommen und sie auch unterstützen können. Wirklich zu Ende gedacht ist diese Verpflichtung aber nicht, da sie nur für einen bestimmten Teil der Ehrenamtlichen gilt, die sogenannten Fremdbetreuer. Für die Angehörigen als Betreuer, die den Großteil ausmachen, gilt das nicht. Die Tatsache, dass sie Angehörige sind, heißt nicht automatisch, dass sie in der Betreuung kompetenter sind.

Positiv ist, dass der Aufwandsersatz von 400 auf 425 im Euro Jahr steigt und dieser nicht mehr jährlich beantragt werden muss. Die Pauschale wird mit dem Jahresbericht mit beantragt. Das finde ich wichtig, weil es wenigstens ein bisschen Anerkennung zeigt. Ganz neu ist das Ehegattenvertretungsrecht. Ehegatten können sich gegenseitig in Notfallsituationen und zeitlich begrenzt vertreten. Wenn der Ehepartner zum Beispiel bisher mit einem Schlaganfall im Krankenhaus lag, konnten die Ehepartner nicht klären, was weiter gemacht werden kann, wenn sie nicht bevollmächtigt oder als Betreuer bestellt waren. Das war für viele schockierend."

 

 

Was bedeutet das Gesetz für Betreute?

 

Rehbein: "Der betreute Mensch wird künftig in jeden Entscheidungsprozess miteinbezogen  Die Zusammenarbeit zwischen Betreuer und betreuter Person wird deutlich intensiver. So müssen zum Beispiel die Jahresberichte, die wir schreiben müssen, mit der betroffenen Person besprochen werden, sodass die betreute Person ganz genau weiß, was an das Gericht übermittelt wird."

 

Sattler: "Das Thema Selbstbestimmung ist aus meiner Sicht nichts Neues. Ein Betreuer, der seine Arbeit ernst nimmt, hat sich schon vorher nach den Wünschen des Betreuten gerichtet. Da wird der Betreute keinen Unterschied bemerken."

 

 

Wird sich das Gesetz gut umsetzen lassen oder sehen Sie noch Kritikpunkte?

 

Rehbein: "Das wird die Praxis zeigen. Im Moment sind alle noch recht reserviert. Keiner weiß, wie es tatsächlich ablaufen wird. Aber es kommt auf jeden Fall sowohl mehr Arbeit auf die rechtlichen Betreuer als auch auf die Betreuungsvereine zu. Letztere müssen die ehrenamtlichen Betreuer jetzt stärker unterstützen. Das ist alles noch nicht refinanziert und wird ein Knackpunkt sein. Wenn man einen Betreuten dazu anleiten soll, dass er seine Entscheidungen selbst treffen kann, dann dauert das manchmal. Und diese Zeit ist in den Stundensätzen der Gerichte erstmal nicht eingeplant. Es gibt noch viele Unwägbarkeiten in finanzieller Hinsicht, was es schwer macht, konkret zu planen. Es ist zwar festgelegt, dass Betreuungsvereine finanziell unterstützt werden, aber die Höhe der Zuschüsse steht noch nicht fest. Wir wissen daher noch nicht, wie wir uns personell aufstellen können."

 

Sattler: "Für uns in den Betreuungsvereinen ist das noch schlecht abschätzbar. Wir werden auf jeden Fall mehr Aufwand haben, da wir uns vermehrt um die Ehrenamtlichen kümmern und auch die Verhinderungsbetreuung übernehmen müssen, wenn der ehrenamtliche Betreuer nicht kann. Wie oft das in Anspruch genommen wird, können wir aber nicht einschätzen."

 

 

Das Interview führte Nicole Esch / Text: Diakonie-RWL

 

 

Reform des Betreuungsrechts

 

Für die Reformen des Vormundschafts- und Betreuungsrechts wurden Interessensverbände und Betroffene miteinbezogen. Die Gesetze gelten ab 1. Januar 2023. Zuvor mussten neue Strukturen geschaffen werden. Unter anderem soll es Beschwerdestellen geben. Sterilisationen gegen den natürlichen Willen von Frauen mit Behinderung sind künftig ausgeschlossen. Rechtlich Betreute behalten ihre Prozessfähigkeit und werden an Gerichtsverfahren persönlich beteiligt. Schriftstücke sollen ihnen selbst und nicht mehr nur ihrem Betreuer zugestellt werden.

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