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„Ich hab keine großen Wünsche - wofür?"
25.12.2020
Attendorn. Auf dem Adventskranz brennen die ersten Lichter und in den Schaufenstern der Hansestadt glitzern die goldenen Engel in Erwartung guter Umsätze. Auch wenn Corona die Stimmung drückt, lässt das baldige Fest der Liebe hoffen auf bessere Tage. Dass die vorweihnachtliche Stimmung allerdings verschiedene Gesichter haben kann, zeigt nicht zuletzt der Andrang bei der Attendorner Tafel. Trotz Kälte und Schneeregen warten hier jede Woche Jung und Alt mit Abstand hinter dem Sozialzentrum „lebensfroh“ auf gespendetes Essen. Wie fühlt sich das vor Weihnachten für die an, die nicht auf der Sonnenseite stehen? - Eine Momentaufnahme.
Der Hansestadt geht es gut. Zumindest bei Betrachtung der Statistik sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: Das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte je Einwohner in Attendorn-Stadt – 2017 erhoben – beträgt knapp unter 40000 Euro (IT.NRW-Landesdatenbank). Auf NRW-Ebene liegt dieser Wert pro Kopf zu dieser Zeit nur zwischen 20- und 25000 Euro. Also - alles super hier im Sauerland? Nicht ganz, denn immerhin sind auch im Januar 2019 etwa 7 Prozent - oder jeder 14. - in Attendorn auf Sozialhilfe, Hartz IV, Leistungen für Asylbewerber und Wohngeld angewiesen. Besonders hart trifft es aktuell in diesen Tagen arme und ältere Menschen, die durch die Auswirkungen der Pandemie nun auch kaum mehr vor die Tür kommen. Eine von ihnen ist Klara M. (Name geändert).
Ab zu zu mal einen Kaffee
Als die freundliche alte Dame mir die Wohnungstür zum Interview öffnet, ist sie guter Laune. Die Nachbarin ist spontan auf einen Sprung vorbeigekommen. „Auf ein Schwätzchen“, sagt sie. Der quirlige Mischlingshund tanzt um die Beine. „Wir trinken ab und an und mal einen Kaffee zusammen“, erzählt die Seniorin, lässt sich in den schweren Stoffsessel aus den Achtzigern fallen und greift zum Schlauch vom Sauerstoff-Beatmungsgerät. „Alles zu viel heute...“ Der Nachbarin ist der Besuch peinlich – sie geht mit Hund. Das Wohnzimmer hat Stammplätze. Für die drei großen Plastik-Puppen und Kissen mit Häkelrand auf dem Sofa, den Wäscheständer im Hintergrund und die vielen Medikamentenpäckchen auf dem Tisch. „Ich muss 36 Tabletten am Tag nehmen...“ Viel Deko und Nippes-Kram für den kleinen Raum. Durch die Gardinen kann man den Rasen sehen.
Klara hat es nie leicht gehabt
Leicht hat es Klara, die in Olpe geboren ist, nie gehabt. Als Kind mit fünf Geschwistern und einem Vater, der oft krank war, gab es kaum Platz für Träume. „Wir waren ganz arm zuhause. Es gab kein Fernsehen, keinen Kühlschrank. Wir hatten gar nichts“, erinnert sie sich, und nach der Schule in Dumicke drückten ihr die Eltern dann auch direkt die Koffer in die Hand. Im Attendorner St. Barbara Krankenhaus fing sie mit 14 Jahren als Putzhilfe an zu arbeiten. Anschließend ging es auf einen Bauernhof, wo die junge Frau Pferde- und Schweineställe ausmisten musste, und mit 23 lernte sie dann ihren Heinz (Name geändert) kennen. Einen Jungen und ein Mädchen brachte Klara auf die Welt, hielt den Haushalt in Schuss, während Heinz als Fernfahrer auf Achse war. Bald musste sie trotz der Kinder wieder Putzen gehen, damit das knappe Geld für die kleine Familie reicht. Oft arbeitete sie auch schwarz. Es sei nicht anders gegangen, erzählt sie. In die Rentenkasse ging damals nichts. „Mein Mann hat viele Autos kaputt gefahren. Das musste immer bezahlt werden. Naja,...“ Nicht einmal in den ganzen Jahren war die Familie zusammen im Urlaub. Manchmal gab es nicht mal ein richtiges Wochenende für alle, denn Papa arbeitete wochentags und am Samstag ging es für Klara bis Sonntagabend als Aushilfe in eine Pizzeria.
Eigene Wohnung kurz vor dem Ruhestand
Kurz vor dem Ruhestand entschied sich Klara schließlich, ohne ihren Mann in eine eigene Wohnung zu ziehen. „Hier kann ich tun und lassen, was ich will. Es ging einfach nicht mehr“, sagt sie, „...auch wenn wir uns noch gut verstehen.“ Die Eigenständigkeit war der Seniorin wichtig, auch wenn der Preis, den sie dafür bezahlt, hoch ist, denn ihr Mann, der auch selbst nicht viel Geld zur Verfügung hat, unterstützt sie nicht. „Das Amt bezahlt die Miete“, sagt Klara und meint damit, dass sie mit rund 200 Euro Grundsicherung, etwa 200 Euro Rente abzüglich Strom, Telefon und Bankgebühren noch ungefähr 270 Euro pro Monat übrig hat. Für alles, was anfällt. Lebensmittel, Getränke, Kleidung, Schuhe, Putz- und Hygieneartikel, Haushaltsartikel und auch mal für einen Kaffee unterwegs. Denn das ist für Klara Luxus und gerade jetzt oft die einzige Möglichkeit, einmal mit Menschen zu sprechen. Und wenn es über das Wetter ist. „Wenn ich mir mal draußen eine Tasse Kaffee gönne, brauche ich kein schlechtes Gewissen zu haben“, erzählt sie. Jetzt, in Zeiten von Corona bedrückt das Kontaktverbot die älteren Menschen nicht nur – es lässt sie oft einfach verstummen, ohne dass sie selbst etwas dagegen tun können. Wer nur in seine eigenen vier Wänden lebt, als Angehöriger einer Risikogruppe Angst haben muss, sich schwerwiegend anstecken zu können, der spricht kaum mehr und droht von Fall zu Fall zu vereinsamen. Da kann ein Schwätzchen am Kaffeestand schon mal eine schöne Abwechslung sein.
Atemprobleme nach dem langen Arbeitsleben
Das lange Arbeitsleben hinterließ auch körperliche Spuren bei Klara. Sie kann nicht mehr richtig laufen, hat Atemprobleme und mittlerweile Pflegegrad 3. Damit sie mit dem wenigen Geld, das ihr noch bleibt, überhaupt zurechtkommt, müsste sie die Attendorner Tafel besuchen, sich dort geben lassen, was andere nicht mehr kaufen mögen. Weil die Beine aber nicht mehr so wollen, bekommt sie Unterstützung durch den diakonischen Fahrdienst „Wohl zu Hause“. Wenn möglich, bringt ihr Diakonie-Mitarbeiter Bernd Herweg die Lebensmittel wöchentlich nach Hause.
Und dann wird gekocht. Wenn es geht, mit Enkelin Lisa (Name geändert) Die ist nämlich Omas Liebling. Dann hat die Seniorin ihre schönste Zeit. Ihrer Enkelin zeigt sie, wie man die Waschmaschine bedient oder Pudding kocht. „Das ist mein Mädchen. Ich tue alles für sie.“ Und die Zwölfjährige hilft ihrer Oma auch, wo sie kann. Dass Oma sich die zehn Euro, die sie ihrer Enkelin ab und an in die Spardose steckt, vom Mund absparen muss, weiß Lisa natürlich nicht.
Niemals große Wünsche gehabt
Oma Klara ist genügsam, hat sich nie viel gewünscht. Dazu gab es auch keine Möglichkeiten. Als ihre Mobilität mehr und mehr eingeschränkt wurde, bekam sie vom Kreis Olpe Taxi-Gutscheine. Jetzt kennt die Seniorin beinahe alle Taxifahrer der Umgebung persönlich. Wenn sie dann beim Bäcker ihren Kaffee trinkt, kommt immer mal jemand vorbei, der die freundliche Attendornerin grüßt und fragt, wie es so geht und was es Neues gibt. Und das sind für die 72jährige die kleinen Freuden im Alltag. Ab und zu dabei sein, mit jemandem reden, raus aus der Bude.
Wie Weihnachten für sie wird, wusste sie bei unserem Treffen noch nicht. Wahrscheinlich trifft man sich mit der Familie. „Ich brauche auch so jetzt nichts“, sagt sie. Für die Enkelin gibt es neue Bettwäsche und Besteck als Geschenk. Außerdem hat sie noch etwas zum Anziehen für sie und den Enkelsohn besorgt. Mit ihrem Mann hat Klara mal darüber gesprochen, dass es schön wäre, einen neuen Schlafanzug zu haben, „...wenn man mal ins Krankenhaus kommt“. Einen schönen für zehn Euro hat sie sich dann auch ausgesucht. „Ich hab keine großen Wünsche“, sagt sie, „Wofür?“