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Auf der Seite der Armen
19.10.2019
Liebe Leser und Leserinnen,
In den letzten Tagen wurden die diesjährigen Nobelpreisträger bekannt gegeben. Eine große Überraschung war für mich die Verleihung des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften an drei Armutsforscher, die sich mit den Schattenseiten von Wachstum und Globalisierung beschäftigt haben.
Weltweit leben immer noch über 700 Millionen Menschen in extremer Armut. In Deutschland reden wir von relativer Armut, von der etwa 16 Prozent der Bevölkerung betroffen sind. Nach einer kürzlich veröffentlichten Studie der Hans-Böckler-Stiftung befindet sich die Ungleichheit bei den Einkommen in Deutschland auf einem neuen Höchststand, die Schere zwischen arm und reich öffnet sich immer weiter.
Hohe Einkommensgruppen können, so steht es dort zu lesen, von sprudelndem Kapital – und Unternehmenseinkommen profitieren, während die armen Haushalte zunehmend tiefer unter die Armutsgrenze fallen und gleichzeitig der Abstand zu den mittleren Einkommen immer größer wird. Das heißt im Klartext: Wer hierzulande reich ist, wird reicher und wer arm ist, wird ärmer. Die einzelnen Bevölkerungsgruppen entfernen sich immer weiter voneinander.
Die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen formulierten im Jahr 2015 in ihrer Agenda 2030 als erstes von mehreren Zielen: „Armut in allen ihren Formen und überall beenden“. DAS ist der große global geltende Rahmen für die internationalen Bemühungen zur Bekämpfung von Armut – und es ist zugleich die Aufforderung an unser alltägliches Tun hier vor Ort. Nicht nur bei der Diakonie. Das Phänomen der ungleichen Lebensverhältnisse ist nicht neu, es durchzieht die gesamte Menschheitsgeschichte.
Die Bibel ist ein Buch über Armut und erzählt unzählige Geschichten darüber. Sie erzählt diese Geschichten nicht neutral, nicht scheinbar objektiv, sondern sie nimmt eine konsequente Haltung ein. Die Bibel steht stets auf der Seite der Armen, der Hilfebedürftigen, der Benachteiligten. Kurz und knapp lautet der Bescheid: „Es sollte allerdings überhaupt kein Armer unter euch sein“ (Dtn.15,4). Das ist mehr als deutlich.
Die Bibel erzählt nichts davon, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied sein soll. Nichts von Sachzwängen. Nichts darüber, ob unschuldig in Not Geratene unterstützungswürdiger sind als solche, denen wir allzu gern selber die Schuld an ihrer eigenen Misere geben. Der biblische Befund ist eindeutig: Armutsbekämpfung ist nicht eine von vielen Auswahlmöglichkeiten, sie ist nicht ein Ruf an wenige „diakonische Profis", sondern eine Verpflichtung für alle Christen und Christinnen. Wenn die Armutsforschung der Wirtschaftswissenschaftler Abhijit Bannerjee, Esther Duflo und Michael Kremer hierzu einen Beitrag leisten kann, ist sie wahrhaft nobelpreiswürdig.
Iris Jänicke
Geschäftsführerin des Diakonischen Werkes des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg