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Du kannst es nicht allen recht machen - und brauchst es auch nicht
12.1.2019
Wenn die Seele leidet, leidet auch der Körper. Die Therapeuten aus der Beratungsstelle des Diakonischen Werkes können in vielen Fällen helfen und oft schlimme Folgen abwenden. Rendel Simon, Leiterin der Psychologischen Beratungsstell des Diakonischen Werkes in Lüdenscheid, schildert einen Fall aus ihrer Praxis. Es ist die Erfolgsgeschichte der 13-jährigen Melly.
Der Kinderarzt empfiehlt einem Elternpaar, wegen extremer Nackenverspannungen und Schlafstörungen ihrer Tochter beraterisch-therapeutische Hilfe aufzusuchen.
Die Mutter besucht die Beratungsstelle Lessingstraße des Diakonischen Werkes. Sie beschreibt ihre Tochter als Kind, das schon immer alles besonders gut machen wollte. Obwohl schon sehr gut in der Schule, setze Melly sich dennoch selbst großem Druck aus – also kein Kind, das man zum Lernen zwingen muss. Seit einiger Zeit kommt ihr die Kritik einiger Lästermäuler in der Klasse zu Ohren: Sie sei zu groß, die Nase zu dick … Sie fühlt sich ausgeschlossen, zieht sich zurück, wirkt häufig niedergeschlagen, fast depressiv. Und längst nicht mehr so selbstbewusst wie früher.
Als Melly in die Sprechstunde kommt, sitzt mir ein hübsches junges Mädchen gegenüber, klug und sehr verständig. Ihre Einstellungen, ihr Sozialverhalten sind vorbildlich – sie möchte in jedem Fall vermeiden, andere zu demütigen oder zu verletzen. Aber sie fühlt sich in ihrer Klasse ausgegrenzt, „ich glaube, die haben keine Lust, mit mir zusammen zu sein“.
Es gibt einen Fachbegriff für dieses Gefühl: Belonging uncertainty, „Zugehörigkeitsunsicherheit“. Zugehörigkeit ist das starke emotionales Bedürfnis, ein akzeptiertes Mitglied einer Gruppe zu sein. Sozialpsychologen benennen dies als eines der fünf zentralen Bedürfnisse und damit eine Hauptquelle menschlicher Motivation.
Das Bemühen, akzeptiert und gemocht zu werden und zu einer Gruppe dazuzugehören, kann hochanstrengend sein, der Mechanismus erzeugt nicht selten einen Teufelskreis. Anfängliche Misserfolge können Gefühle fehlender Zugehörigkeit verstärken, Schwierigkeiten bezieht man auf sich selbst. Dadurch verstärken sich Selbstzweifel, das Selbstbewusstsein nimmt ab, der Aufbau sozialer Kontakte wird zusätzlich erschwert.
Rendel Simon ist Leiterin der Psychologischen Beratungsstelle des Diakonischen Werkes in Lüdenscheid.
In unseren Treffen sprechen wir zunächst über Perfektionismus. Auf einer Skala von 1 bis 10 schätzt Melly ihren Hang zum perfekt sein wollen sehr hoch ein, sieht sich auf der 8 mit dem Wunsch, sich auf der 5 einzupendeln. „Dann wäre ich entspannter, ein bisschen glücklicher und würde weniger Wert auf die Meinung anderer legen.“ Wenn man dem Perfektionismus eine Stimme verleihen könnte, wäre der nie zufrieden mit ihr: „Was tust du da? Du machst alles falsch! Du bist nicht in Ordnung, reichst nie aus!“ Mellys Ziel dagegen ist „Erleichterung und Zufriedenheit“, ein Gefühl, das sie eher beruhigen würde: „Mach alles in deinem eigenen Tempo. Du bist liebenswert, so wie du bist.“
Wir überlegen, welche Gedanken ihr helfen könnten, um mit den Lästereien der anderen fertig zu werden und sich dadurch nicht klein zu fühlen. Mellys Gedanken schreiben wir auf Zettel. „Du kannst es nie allen recht machen und brauchst es auch gar nicht!“ „Verändere dich nicht für andere, denn es ist dein Körper/dein Leben.“ „Manche sind nur neidisch.“ „Akzeptiere: Es gibt immer Leute, die dich nicht so annehmen, wie du bist.“ „Manche haben nichts Besseres zu tun als zu lästern.“ „Fühle dich mit dir selber wohl!“ und „Die Lästerer sind noch unreif, müssen sich erst noch entwickeln.“
Diese Sätze könnten so oder ähnlich Kapitelüberschriften in einem Ratgeberbuch sein, das auch für viele Erwachsenen hilfreich sein könnte. Und sie stammen von einer 13-Jährigen!
Auf der Skala von 1 bis 10, die anzeigt, wie wichtig ihr die Meinung derer ist, die andere ständig kritisieren, sah Melly sich in der schwierigsten Zeit bei 7 bis 8 (10 = hoch), heute auf einer 4, ihr Ziel ist es, auf eine 2 bis 3 zu kommen. Doch schon jetzt gelingt es ihr besser, sich von den Aussagen anderer weniger beeindrucken zu lassen, gelassener zu reagieren.
Melly war mit einer Veröffentlichung ihrer Geschichte in der Zeitung einverstanden. Vielleicht können andere davon profitieren? Melly würde das freuen.